Inspiration in Wort und Bild

Die Stephane-Grappelli-StoryStéphane Grappelli

von Marcus A. Woelfle

Am 26.Januar 2008 wäre Stéphane Grappelli (* 26. Januar 1908 in Paris; † 1. Dezember 1997 in Paris, webmaster) 100 Jahre alt geworden. Als er am 1.Dezember 1997 starb, legte er nicht nur seine über doppelt so alten Meistergeigen, die Guadagnini und die Montaguana, für immer aus den Händen. Der Mann, der einst als Stummfilm-Pianist wirkte und noch im Multimedia-Zeitalter munter musizierte, hinterlässt mehr auf Schellacks, Singles, 10- und 12-Inch-LPs und CDs sowie auf Celluloid, Video und Soundtracks dokumentierte Töne als irgendein Jazzgeiger, ja vielleicht als überhaupt ein Violinist der Musikgeschichte. Während Klassik-Sammlern heute fast schon als Selbstverständlichkeit gigantische Editionen - Heifetz bei RCA, Stem bei Sony - angeboten werden, wird es eine entsprechende Edition für Grappelli in absehbarer Zeit nie geben: Sein Frühwerk wird immer unter der Trademark Django Reinhardt angepriesen werden, die seltenen Aufnahmen der mittleren Jahre auszukundschaften bedarf es schon detektivischen Spürsinns und das Schaffen seit den späten 60ern ist auf zahlreichen großen und kleinen Labels verstreut, ja es gibt von ihm sogar (wie bei Armstrong, Miller & Davis) unzählige 10-Mark-Wühlkisten-CDs ohne zuverlässige diskographische Angaben untrügliches, obgleich fragwürdiges Zeichen seiner Pantheonisierung.
Das umfangreiche Material zu sichten bleibt uns selbst überlassen; wir können hier nur die Spitze des Eisberges berühren.

Stéphane GrappelliGrappelli und seine Zunftgenossen

Grappelli war keineswegs, wie einige übereifrige Nachrufe wollten, der erste Jazzgeiger. Als er in den frühen 30ern anfing, die Geige zu bezwingen (zunächst als Altsaxophonist, der für Tango-Einlagen zur Geige griff) hatte er schon viele illustre Vorgänger, allen voran Joe Venuti, Eddie South sowie Stuff Smith, der aber erst später bekannt wurde. Mit allen sollte er später freundschaftlich um die Wette geigen, und immer wurden es spannende Ohrenblicke der Violingeschichte. Doch kopiert hat er keinen, wie gerade der Vergleich mit den ihm nahestehendsten Geigern zeigt: Mit Eddie South, dem "Black Angel Of The Violin", nahm er am 23.11.37 jene Verjazzung von Bachs Doppelkonzert auf, die die Nazis als "entartet" einstampfen ließen und beide zusammen stießen am 29.9.37 für"Lady Be Good" auf den französischen Geigenpionier Michel Warlop. (Nachzuhören u.a. auf der unentbehrlichen 1 O-CD-Box "Djangology" der EMI France). Im bluesig-wild wedelnden fiedelnden Stuff Smith fand der elegante Grappelli 1957 seinen Konterpart: Ihr Pablo-Album "Violins No End" verdeutlicht was es heißt, am diametral entgegengesetzten Ende des gleichen stilistischen Spektrums zu swingen. Fast interessanter ist ein kaum bekanntes Dokument ihrer Begegnung, ein "How High The Moon", daß einmal auf einem italienischen Sampler ("l giganti del jazz" bei Curcio) erschienen ist. Es ist eine der wenigen Einspielungen, auf denen dokumentiert ist, dass Grappelli einst auch das Bebop-Spiel beherrschte - wie eine Fremdsprache, die man perfekt, aber fast nie spricht. In einer atemberaubenden Vorwegnahme des Pontyschen Frühstils fordert Grappelli den damals gerade als Gillespie-Gefährten bekannten Smith heraus, der hier unerwartet als der traditionellere Geiger mit robustem Swing-Drive Paroli bietet. Venutis Partnerschaft mit dem Jazzgitarrenpionier Eddie Lang hatte 1933 das Vorbild abgegeben für das legendärste Zweiergespann der europäischen Jazzgeschichte ab: Stéphane Grappelli und Django Reinhardt. Zwei Versionen von "I've Found A New Baby" laden zum Vergleich ein; beide repräsentieren den jeweiligen Geiger in seiner Höchstform: die 37er Grappelli-Reinhardt-Duo-Einspielung und die sieben Jahre ältere Venuti-Lang-Version. Venutis Solo ist technisch eine von Jazzgeigern nicht mehr überbotene Leistung, überzeugt aber auch musikalisch durch Drive, frappierendes Flageolett-Spiel und überlegter Chorus-Architektur. Das ist hottester Jazz, hinterlässt aber doch den Eindruck einer klassischen Hochleistungsetude, wenn man Grappellis technisch simples Solo angenehm flüssig swingen hört. (Schließlich kann man Grappelli mit dieser Nummer im August 1935 als Pianisten, im Oktober 1935 mit dem Hot Club erleben). Erst 1969 traf Grappelli auf Joe Venuti; auf "Venupelli Blues" (Byg) feierten beide alte Herren, von einer Jazzgeigen-Welle getragen, gerade ein Comeback. 1969 musizierte der italoamerikanische Greis wesentlich frecher und schärfer als in seiner Jugend; der italofranzösische Geiger kontert mit typischer Noblesse, ist milder als in seiner Jugend.

Stéphane GrappelliKein anderer Jazzmusiker hat mit so vielen Vertretern seines eigenen Instruments aufgenommen, als der Grandseigneur der Geige, der Rivalitätsdenken "absolut lächerlich" fand: Von seinem dänischen Schüler Svend Asmussen über Bluegrass-Fiddler Vassar Clements zum indischen "Geigenkönig" Dr. Subramaniam und zum schmalzigen Duett mit Yehudi Menuhin. Mag manche Begegnung zwiespältige Eindrücke hinterlassen, so ist Grappellis Neugier erfrischend. Nachwuchsgeiger förderte Grappelli neidlos. Frankreich wurde so zum Lande der unbegrenzten geigerischen Möglichkeiten, was nicht zuletzt die traditionelle Übergabe der Warlop-Geige an den jeweils herausragenden Jazzgeiger der nächsten Generation zeigt. Der 1947 verstorbene Warlop vererbte sie an Grappelli, von ihm aus wurde sie an Jean-Luc Ponty und Didier Lockwood weitergereicht. Das Treffen mit Ponty ist interessant, zeigt es doch beide Geiger als Bratscher.

Stéphane GrappelliDjangologisches

"Wäre mir diese Seite nicht gerissen, wäre es vielleicht nie passiert": Um eine neue Saite aufzuziehen, musste Grappelli 1933 einmal hinter einen Theater-Vorhang. Dahinter saß Django gemütlich mit seiner Gitarre auf einem Lehnstuhl. Grappelli stimmte - und bald stimmte sich halb Europa auf den neuen Sound ein. Gitarristen und Geiger von Dänemark bis Deutschland, United Kingdom bis Ungarn zogen nun nach dem Vorbild der beiden neue Saiten auf, denn trotz amerikanischer Anregungen, die sich nicht zuletzt im Swing-Repertoire niederschlugen, hatten sie den ersten eigenständigen Beitrag zum europäischen Jazz geleistet. Was heute unter dem Etikett "Sinti-Jazz" läuft, findet hier sein Wurzeln. Django, dessen geniale Improvisationen ihrer Zeit weit voraus waren und der mit seinem "Dreifingerblitz" das Gitarrenspiel revolutionierte, beeinflusste als erster Europäer auch den amerikanischen Jazz. Daher sehen viele in Grappelli nur den ehemaligen Geiger von Django Reinhardt. Grappelli sah es anders: "Django war mein Gitarrist." Tatsächlich war ihre gemeinsame Gruppe weder nach dem großen Gitarristen, noch nach dem Geiger benannt. Sie hieß schlicht "Quintette du Hot-Club de France". Der Sohn eines Philosophie-Lehrers konnte organisieren, war musikalisch gebildet und verstand etwas vom Geschäft, während Reinhardt "nur" ein unberechenbares musikalisches Genie war, das weder Noten schreiben, noch mit Banknoten umgehen konnte.

Mit "l saw Stars" und "I'm Confessin... wird im September 1934 eines der aufsehenerregendsten Debuts der Jazzplattengeschichte vorgelegt. Schon hier vernimmt man: In den Jahren mit Django spielte Grappelli noch wesentlich aggressiver, druckvoller und geradliniger als später, als seine Neigung zu reichhaltiger Ornamentik und zu klanglicher Süße stärker wurde. Die Aufnahmen des Quintette Du Hot-Club de France sind allesamt auf so hohem Niveau, dass sich die Anschaffung der 10-CD-Box der EMI France lohnt. Sie enthält auch die Aufnahmen mit Eddie South und den anderen amerikanischen Gästen. Schade, dass bei EMI nur die Jahre 1936-1948 dokumentiert sind und somit insbesondere die ersten Schritte fehlen. Wer sich auf eine Auswahl beschränken möchte, sollte darauf achten, möglichst viele, klassische gewordene Kleinode aus der Feder von Reinhardt und Grappelli zu erwischen, wie z.B. "Swing Guitars", "Minor Swing", "Nuages", "Daphne" und "Tears". Von 1934 bis 1939 währte die musikalisch beglückende, aber menschlich schwierige Zusammenarbeit, die in den 40er Jahren nur vereinzelt wiederbelebt wurde, z.B. 1946 in London mit einer damals umstrittenen, aber nicht respektlos gemeinten Version der französischen Nationalhymne: "Echoes Of France".

Stéphane GrappelliDie mittleren Jahre

Schon ab 1935 waren Aufnahmen unter Grappellis eigenem Namen erschienen, aber erst die englischen Aufnahmen ab 39 zeigen Grappelli als überragendes Mitglied von "Hatchett's Swingtette" (auf Flapper) erstmals in einer Django-fernen, aber manchmal leider fast eher Jazzfernen Umgebung: gepflegter 5-o'clock-Tanz-Tee für Nostalgiker. Immerhin wird hier der Grundstein zur Freundschaft mit dem Pianisten George Shearing gelegt. Nicht viel ist aus den mittleren Jahren des 40 bis 60jährigen erhältlich. Am besten behilft man sich mit der Verve Doppel-CD "Grappelli Story", die als Querschnitt von 193 8 bis 1992 überhaupt den vielleicht besten Überblick gibt. Dankbar muss man vor allem für die seltenen Aufnahmen zwischen 1955 und 1962 sein - einer Zeit, in der Grappelli wie fast jeder Jazzgeiger keineswegs im Rampenlicht stand. (Eine Ausnahme bildete damals lediglich Stuff Smith, dessen damalige Verve-Aufnahmen auf eine längst fällige CD-Edition warten). Grappellis Spiel hatte in den 50em noch den Biss seiner Jugendjahre und zugleich schon die technische Überlegenheit seiner Reifezeit' Sein Spiel fand noch zu manchen überraschenden Wendungen ("I want to be Happy") und viele "Licks", die seitdem immer wiederkehrten, entsprangen damals noch spontan und unverbraucht den Saiten. Dies soll nicht seine Leistungen seit den 70er Jahren schmälern, für die man hier auf legendäre MPS-Platten, die mit zu seinem Besten überhaupt gehören - "Afternoon in Paris", "Violinspiration", "Reunion" (mit Shearing), "Young Django" - zurückgegriffen werden konnte. Bis auf letztere (mit L.Coryell und Ph. Catherine), sind diese Kultscheiben nicht erhältlich!

Das Spätwerk

Sieht man von den 30er Jahren ab, die Grappelli als jungen Heißsporn im Schatten des genialen Manouche zeigt, erscheinen die 70er Jahre als seine geigerische Glanzzeit: Schnelle Nummern hatten da bei aller Eleganz geradezu aufwühlende, hysterische Qualitäten. In den mit unübertrefflicher klanglicher Weichheit zelebrierten Balladen griff er rückhaltlos zu Stilmitteln, die weniger geniale Nachahmer zwangsläufig in den Kitsch trieben, aber in den Händen des liebenswürdigen Musikanten selbst in seinen charmantesten Balladen nur zur lustvollen Annäherung an eine gefährliche Grenze dienten. (Der Erfinder des Reimes "Herz-Schmerz" war auch ein genialer Kopf, der nichts für die kitschigen Abnützungserscheinungen kann.) Um aus eingefahrenen Gleisen zu kommen suchte der alternde Grappelli immer wieder Begegnungen mit ganz anders gearteten Kollegen. Unter diesem Vorzeichen wurden die 70er und 80er Jahre waren auch die Zeit der Begegnung mit großen Pianisten. (Noch im Alter bekundete der Inbegriff der Jazzgeige, der als Pianist seine Laufbahn begann, nicht ohne Koketterie schmunzelnd: "Ich bin eigentlich Pianist; die Geige ist nur mein Gimmick." Wenn er sich dann ans Klavier setzte, um das zu beweisen, hätte er so manchen jungem Tastenswinger das Fürchten lehren können - wenn man gegenüber der personifizierten Liebenswürdigkeit überhaupt so etwas wie Furcht empfinden kann.) Ob er sich von so grundverschiedenen Pianisten wie Earl Hines ("Stéphane Grappelli meets Earl Hines" auf Black Lion), Oscar Peterson (auf Accord), McCoy Tyner ("One On One" auf Milestone) oder Martial Solal (auf Owl) begleiten ließ (meist im Duo!), nie wirkte der Alternde dabei deplaciert. Ohne seinen zeitlosen Stil verstellen zu müssen, wirkte seine Musizierhaltung schon von Natur aus konziliant und kompatibel. Nur für das Laute und Rohe fand sich kein Ton auf seiner Saite. Von einer erstklassigen Rhythmusgruppe beflügelt - z.B. 1973 auf "Parisian Thoroughfare" (Black Lion) mit Roland Hanna, Jiri Mraz (einem der wenigen Bassisten, die auf seinem Niveau mitstreichen konnten) und Mel Lewis - war Grappelli - auf der Höhe seiner Kunst.

Séphane GrappelliNichtsdestotrotz arbeitete Grappelli in den letzten Jahrzehnten viel mit jungen Gitarristen zusammen. Doch solche Besetzungen mussten sich, wenn der Gitarrist nicht eines der gelegentlichen Originalgenies wie Joe Pass oder Baden Powell war, auch nach Jahrzehnten natürlich den Vergleich mit Django gefallen lassen musste. Grappelli ließ sich im Gegenzug einiges einfallen, um dem zu entgehen, wenn er z.B. auf "Just One Of Those Things" (EMI), einem Album mit seinen häufigen Partnern Martin Taylor und Marc Fosset, einen tabla-Spieler hinzuzieht. Diesen Schatten der Vergangenheit wusste Charlie Haden zu nutzen, als 1993 per Collage-Technik den greisen Grandseigneur mit einer alten Reinhardt-Aufnahme kombinierte. Seit seinem 85.Geburtstag in der Carnegie Hall musizierte Grappelli auch gern mit dem holländischen Rosenberg Trio (Alben auf Verve). "Von allen Zigeunergitarristen und -Gruppen mit denen ich in meinem Leben gespielt habe, sind die Rosenbergs absolut die Besten." Hatte Grappelli da plötzlich ihr Urbild Django vergessen? Stochelo Rosenbergs rasante Läufe sind das Non-Plus-Ultra an Technik, das untadelige Zusammenspiel mit Grappelli zeugt von Perfektion ohne Blutleere. Ein Wermuthstropfen bleibt: Zwar atmet fast alles Djangos Geist, doch von der innovativen Kraft des genialen Manouche, der so oft mit seinem Wagemut überraschte findet sich kaum eine Spur.

Doch Jahrzehnte hatten erst nach dem Tod Djangos im Jahre 1953 vergehen müssen, bevor Grappelli sich überhaupt auf solche eine direkte Django-Nachfolge einließ. 1969 entstanden (auf Black Lion erhältliche) jene Alben mit dem New Hot Club Quintet, die als bewusste DjangoHommage gedacht waren. Doch bei einem Gitarristen vom eigenständigen Rang eines Barney Kessel ist jede Ähnlichkeit mit toten Personen ausgeschlossen. Zudem wirkt, für diese Musik an sich untypisch, ein Schlagzeuger mit. Erst 20 Jahre nach Djangos Tod, begann Grappelli wieder mit einer Besetzung zu spielen, die der des Hot Club angenähert war ("In London", Black Lion). Bei solchen Gelegenheiten beharrte Grappelli darauf, nur mit zwei und nicht mit drei Gitarristen zu spielen: Ein leerer Stuhl stand dabei immer auf der Bühne - Symbol für den fehlenden Django.

Grappellis GrabDie letzten Jahre

Dass die Musik eines gealterten Künstlers sanfter oszilliere und jugendliche Spannungen, Gegensätze und andere "Unausgegorenheiten" einer wie auch immer gearteten Abgeklärtheit oder zeitlosen Klassizität weichen, scheint fast naturgesetzlich. Grappellis Altersphänomen war keineswegs eine allgemeine Beruhigung - bis vor kurzem noch jagte er fast so rasant wie vor drei Jahrzehnten über die Saiten - sondern eine zunehmende klangliche Verweichlichung, bei der seine fiebrigen Up-Tempo-Läufe noch flüssiger und das Schwelgen im Sentiment noch schmelzender klang. Wenig hatte sich da in den letzten Jahren geändert: Des greisen Grappellis Ton war butterweich, doch nicht mehr ganz so süßlich, der Einsatz seiner Mittel ökonomischer: Bekannte Themen wurden nicht gleich so verspielt umspielt und verziert. Standards wurden wie auf "Live at the Blue Note", Telarc) in Medleys verpackt oder begnügten sich (wie in alten Schellack-Tagen) wieder mit drei Minuten. Ohne dass Grappelli deswegen auf die üblichen Girlanden, Arabesken und Ranken verzichten musste wurden die Improvisationen kürzer: Da fiel weniger auf, dass die Erstarrung besonders effektvoller Phrasen zum Klischee im Alter zu-, das Überraschungsmoment bei Grappellis Alben und Konzerten abnahm, zumal das Vergnügen gleich blieb. Denn seit Jahrzehnten riss uns das leibhaftige Jazzmuseum (kaum ein Musiker kannte so viele Standards, so viele Kollegen!) mit durch seine "Licks", die seltsamerweise in fast jedes Tune und in jede musikalische Umgebung zu passen schienen - auch dies ein Form von Ökonomie seines altersweisen Stils.

Das mit Michel Petrucciani 1996 eingespielte Album "Flamingo" (Dreyfus Jazz) ist vielleicht sein letztes Album. Welch virtuoses Feuerwerk hatte Grappelli noch 65jährig bei seiner Begegnung mit Oscar Peterson in dieses "Flamingo" gelegt: Spritzige Flageoletts, vollmundige Doppelgriffe, Höchstpräzision in stratosphärischen Lagen, treibende Läufe. Wenn man beide "Flamingos" hintereinander hört, wird man leider auch einer gewissen tonlichen Brüchigkeit des Geigenspiels gewahr. Doch das ist Nebensache. Nobler, bedachtsamer und essentielles als Grappelli und Petrucciani im Duo kann man den einstigen Bostic-Röhr-Titel "Flamingo" nicht spielen. "Flamingo" 73 bedeutet vor Spannung die Luft anhalten, "Flamingo" 96 ist ein entspanntes Ausatmen - ein würdiges musikalisches Testament.

Neben Benny Carter war er einer der letzten Swing-Giganten seiner Generation. Vergleicht man Grappellis Spiel mit dem des Altisten, findet man nicht nur die gleiche Vorliebe für einen weichen runden Klang verbunden mit flüssigem, eleganten und zugleich lebhaften Spiel, stößt man sogar in der Phrasierung auf erstaunlich Parallelen. Mit ihrer Ästhetik der quirligen Milde haben sie all jene zornigen Wilde um Jahrzehnte überlebt, deren Ecken und Kanten man heute im Jazz als unabdingbar empfindet.

Grappelli hat noch miterleben können wie seine Kinder, Kindeskinder und Urur-Enkel, seien es Sinti-Virtuosen von Titi Winterstein bis Martin Weiss oder französische Modernisten von Jean Luc Ponty bis Dominique Pifarely, seine Errungenschaften in die unterschiedlichsten Richtungen weiterentwickelten. Was will man mehr?

Marcus A. Woelfle

 

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